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Fabula 2.1

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Flüchtige Schritte auf Fliesen. So weiß wie Schnee, so kalt wie Schnee. Aber da ist kein Schnee, da ist nur Wasser und es fließt schnell. Schnell, schneller, immer schneller. Komm nur, komm, bleib stehen. Sieh der Wahrheit ins Gesicht, sie holt dich ein, bald schon, gleich schon, gleich.
Eine Tür, endlich, eine Tür. Doch weh, verschlossen, der Schlüssel unbeweglich und verklemmt.
„Nein!“
Eine Halbdrehung, Blick gen Wasser, es steigt und es ist grün. Warum ist es grün? Sichtwechsel, zum Bauch hin, zum eigenen und die Haut löst sich dort, Schicht für Schicht.
Das Blut ist grün, neongrün. Das Wasser auch.
„Bitte nicht!“
Panisches Drücken gegen die Tür, aber der Rücken ist nicht stark genug, er durchbricht das Holz nicht. Nur der Wille, der bricht und fließt zusammen mit dem grünen Blut ins Wasser.
Schluchzer durchreißen die Stille, brechen auch sie.
Der Kopf wird langsam schwer und er schmerzt, drückend, nicht wie der Bauch ziehend.
Fall auf den Boden, auf die Knie.
„Nehein, NEIN!“
Verzweifelte Schreie tönen schrill, selbst dann, wenn sie kraftlos sind. Fingernägel kratzen über die Fließen, das Wasser lässt kein Geräusch nach draußen, es schluckt alles. Die Dunkelheit drückt von allen Seiten.
Hallo Finsternis. Komm nur, komm, bleib nicht stehen.
Warten.

Annie atmete tief ein, schnell aus, wieder ein, aus, ein, aus. Um sie herum war es stockduster und einnehmend, sie sah nichts, spürte nur die Kälte und die Nässe. Mit den Fingern krallte sie sich in Stoff hinein, doch sie konnte nicht erkennen, was es war.
Farbe kam langsam zurück. Direkt vor ihrem Gesicht war es rot, weiß und grün. Ein rot geschmückter Weihnachtsbaum im Schnee. Wie schön.
Lebte sie, tatsächlich? Ja, tatsächlich?
Sie lachte auf, zittrig und nach wie vor hektisch atmend. Dann wurde es wieder schwarz.



Hallo? Ist da jemand? Irgendjemand? Da ist ein Abgrund vor mir. Liege ich, stehe ich? Aber die Wand ist auch da, die Wand, schau dir die Wand nur an, aber es geht doch runter, warum ist die Wand dann da? Wo bin ich hier gelandet, wo nur, wo, und warum ist mir kalt und warm gleichzeitig, ich will doch nur hier weg, nur hier weg!
Der Abgrund, da ist er immer noch, ich darf mich nicht bewegen, darf nicht fallen, es wird tief, so tief sein. Irgendjemand?!



Es war keine Wand vor Annie, es war eine Wurzel. Oder ein Ast. Oder ein Stamm. Egal, es war aus Holz. Sie stand auch nicht, sie lag. Es war laut um sie herum. Wasser plätscherte, Tiere schrien. Der Wald lebte.
„Ich lebe“, hauchte sie, dann biss sie sich aufgrund der aufwallenden Schmerzen auf die Unterlippe.
„Allerdings“, hörte sie Shadrachs Stimme nicht weit von sich, woraufhin sie sich umdrehte, auch wenn sie dabei das Gefühl hatte, doch noch zu sterben.
Er saß da, ebenfalls auf einem Stamm des Mangrovengrüppchens, auf dem sie sich befanden. Er saß da und schaute ins Leere. Und er trug keine Uniform mehr, nur das weiße Shirt, das er darunter angehabt hatte, zudem fehlten die Verbände an seinen Armen. Normalerweise hätte sie jetzt die zahlreichen Narben sehen können, die seine Magie dort hinterlassen hatte, sowie die verheilten Einstichverletzungen in seiner linken Armbeuge. Doch es war zu dunkel dafür.
Im nächsten Moment bemerkte Annie, dass sie selbst eingewickelt in seine Uniform war. Zwar auch nass, aber trotzdem schön. Trocknen würde sie bei dem Klima ohnehin nicht mehr.
„Danke“, sagte sie und ihre Stimme war immer noch so gut wie nicht vorhanden.
„Kein Ding“, kam es von ihm, doch er schaute sie immer noch nicht an. Einige Momente der Stille verstrichen, bevor er wieder die Stimme erhob. „Ich hab deine Tasche und den Dolch. Die Dose ist weg und dein anderes Zeug liegt weiter entfernt, das Vieh hat dich weit raus gezogen.“
„Hat es?“ Sie kuschelte sich weiter in die nasse Uniform. „Was war das?“
„Weiß nicht. Etwas Schneckenartiges, wohl möglich.“
„Ist es tot?“
„Keine Ahnung.“
„Kannst du mir Eine drehen?“
Sie hörte einen tiefen Atemzug seinerseits. „Deine Tasche war komplett durchnässt, ich denke nicht, dass sich da noch etwas drehen lässt.“
Annie gab ein sehr wehleidiges Geräusch von sich. Gefangen am gefährlichsten Orts ihres Lebens bis jetzt und sie konnte sich nicht einmal fünf Minuten komplette Entspannung gönnen. Das war doch zum Ausrasten. Tabak konnte trocknen. Aber mit nassen Papes ließ sich nichts mehr anfangen, sie klebten aneinander. Vor Wut hätte sie aufschreien können, doch ihre Kraft reichte nicht.
Unter Schmerzen drehte sie sich auf den Rücken und sah unter dem Blätterdach der Mangroven Sterne hindurch schimmern. Es waren mehr als zu Hause, so viel mehr. Schon schön so, aber sie wollte hier nicht sein. Das war hier doch alles noch irrealer als normalerweise schon.
„Schlaf jetzt“, sagte Shadrach wieder.
„Und du?“
„Ich bleib wach.“
Sie nickte, jedenfalls glaubte sie, das zu tun. In Wirklichkeit war es nur eine müde, kaum wahrnehmbare Kopfbewegung. „Was machen wir morgen?“
„Ich werde deine Verletzung ein weiteres Mal behandeln. Dann sehen wir je nachdem weiter, was du auf die Reihe kriegst.“
Er klang dezent genervt und sie konnte es auch noch nachvollziehen. „Es tut mir Leid.“
Darauf reagierte er nicht, starrte nur weiter ins Nichts.
In den darauf folgenden fünf Minuten, die sich wie fünf Stunden anfühlten, versuchte Annie einzuschlafen, schaffte es aber nicht. Da waren die Schmerzen und dann noch die Verzweiflung, die sie mit aller Kraft wach halten wollten. Und der Untergrund war hart, unbequem, überall war es nass und außerdem laut und überhaupt, warum? Warum zum Geier war sie hier? Was machte sie hier? Sie hatte doch nur in aller Ruhe im Wald schreiben wollen, über die seltsamen Träume, über all die anderen Dinge, die ihr durch den Kopf flogen. Die Geschichte von Shadrach zum Beispiel, die Geschichte eines magisch begabten Jungen, den sein Leben zu einem emotionalen Wrack geformt hatte. Mittlerweile tat es ihr Leid. Sie hätte nie auf die Idee kommen sollen, sich in ihren Gedanken kranke Sachen auszudenken, Schicksale, die keiner erleben wollte und die sie auch keinem zumuten wollte. Aber da war sie wieder, die Grenze zwischen Realität und Fiktion. Und wenn fiktive Personen doch lebten, wer würde ihnen dann noch Leid zufügen wollen? Wozu würde das führen? Eine Welt ohne Bücher, ohne Filme, Theaterstücke, Poesie und Musik? Nein, nein. Das war auch keine Lösung. Das alles nur noch getaucht in rosarotes Glück? So etwas wollte doch keiner lesen der wusste, wie die Welt funktionierte!
Annies Augen waren schon lange zugefallen, auch wenn sie nicht schlief, einfach, weil ihr Körper keinerlei Kraft mehr besaß. Doch sie öffneten sich wieder, als sie einen weiteren tiefen Atemzug von Shadrach hörte.
Er saß nun gerade da, angespannt, den Blick ins Schwarz.
„Was ist?“, erkundigte sie sich tonlos.
Erst sagte er nichts, schloss nur seinerseits die Augen. Wie es schien, verwendete er gerade das magische Sehen, die Fähigkeit, die ausgestrahlte Magie jedes Elements wahrzunehmen.
„Da ist etwas“, sagte er dann, nach wie vor mit monotoner Stimme. Annie sah ihm an, dass er beunruhigt war, doch seine Stimme verriet rein gar nichts.
Die Schnecke. Sie war zurück, garantiert, um sich zu rächen. Um gleich zwei vollwertige Mahlzeiten zu erhalten.
Schwerfällig und trotzdem erneut von Panik ergriffen, setzte Annie sich auf. „Warum hätte ich nicht sterben können?“, dachte sie sich verzweifelt. „Dann wäre jetzt alles vorbei, nein, es wäre schon vorher vorbei gewesen, dann wäre ich vielleicht wieder zu Hause oder auch nicht sondern einfach nur tot, warum bin ich nicht schon eher auf die Idee gekommen?“ Zitternd krallte sie sich in die Uniform, schaute sich um, obwohl sie in der Finsternis nichts sehen konnte.
Ein Geräusch ertönte, ein Blasen, ein Plätschern. Annie kannte das Geräusch zur Genüge, wenngleich nur aus Filmen und Videos von Youtube. Ein Wal. Oder ein Delphin. Und garantiert ein Atemzug.
Keine zwei Sekunden später folgte noch etwas. Ein Grummeln aus dem Untergrund, tief und kehlig, doch es klang nicht artikuliert, wie der Gesang eines Wales, nur metallischer und einige Oktaven weiter unten. Aber nein, nicht vollkommen ohne Wörter. Da waren welche, zumindest bildete sich Annie ein, welche zu verstehen.
Falsch...“ Melodische Töne, voll von der unendlichen Melancholie des Ozeans. „Gehören nicht... hin...
Gleich danach die Klänge einer Fluke, die auf Wasser geschlagen wurde.
Annies Blick haftete an Shadrach, der sich auch langsam, ganz langsam, ihr zu wandte, mit skeptischem Gesichtsausdruck. Es war wieder ruhig, alles um sie herum. Täuschte sie es oder hatte der Wald den Atem angehalten?
Letztendlich geschahen zwei Dinge genau im gleichen Moment. Einmal war da Shadrach, der sich zur Seite, zu Annie hin warf, und ein riesiges Maul, das auf einmal aus dem Wasser auftauchte.
„Hoch da!“, keifte Shadrach ihr zu, die sich vor Schock nicht bewegen konnte. Ihr Blick hing viel zu sehr an diesem Wesen fest.
Viel konnte sie nicht erkennen, es war zu dunkel, nur die glatte Haut auf dem stromlinienförmigen und delphinartigen Kopf reflektierte das Licht, das seinerseits auch vom Mond nur reflektiert wurde.
„Oh Gott“, wisperte Annie, nicht fähig, auch nur irgendetwas zu machen, während sie den Wal anstarrte, der sich auf das Mangrovengeflecht gezogen hatte. Mit der Hilfe von Armen. Seit wann hatten Wale Arme?
Erst die Schnecke und dann das. Vielleicht sollte sie sich dem Vieh bereitwillig ins Maul stürzen. Dann hätte sie keine Probleme mehr. Aber so einfach das klang, sowohl der Gedanke dahinter, als auch die Ausführung, letztendlich war sie für ebenjene dann doch zu feige.
„Jetzt mach!“, hörte sie Shadrach, der sie zurück in die Realität, die irgendwie nicht real war, holte, indem er ihr unter die Arme griff und auf einen höheren Ast hievte und sie das Gefühl hatte, dabei auseinander gerissen zu werden.
Anschließend fuhr er wieder herum, mit dem gezückten Dolch in der Hand, in Verteidigungsposition und starrte unnachgiebig den Wal an, welcher sich stetig weiter herauf zog. Dieser gab einen hohen, metallischen Laut von sich, der in ein erneutes „Falsch!“ überging.  
„Was willst du?“, erkundigte sich Shadrach düster bei ihm und ein Laut ertönte, der einem verbitterten Auflachen glich.
Sie... wollen dich“, das Wesen holte schwerfällig Luft, „nicht... hier... Stören. Sterben. Wir werden dich... holen und... den anderen auch...“
„Pft“, kam es schnaubend von Shadrach und hätte Annie ihm ins Gesicht sehen können, so hätte sie das dezent bösartige Lächeln sehen können. „Versuch's doch.“
Er trat ein Stück zurück, während er dem schnappenden Maul auswich und den Dolch zurück in die Scheide wandern ließ. „Versuch's doch...“, wiederholte er leise und in jenem Moment spannte er seine Handmuskulatur an.
Es zischte, knisterte, dann erschienen kleine, zuckende Lichtpunkte, blau-weiße Blitze, die die Hand ihres Erschaffers spielerisch umkreisten.
Annie zog sich mit vor Schmerz zusammen gebissenen Zähnen noch weiter hinauf und hoffte, dass die Äste nicht doch nachgaben. Sie musste auf sich aufpassen, nicht nur aufgrund ihres Gewichts und dem Holz oder dem Wal, sondern auch wegen Shadrachs Magie. Sie hatte ihn damit versehen, sie wusste, was diese gefährlichen Schönheiten anrichten konnten und dank zahlreicher Träume wusste sie auch, wie es am eigenen Körper aussah, wie es sich anfühlte. Ein sauberer Schnitt, ein weiterer, der alle Hautschichten zertrennte und das freilegte, was sich unter ihm befand. Etwas, das in der Lage war, ein Kind zu traumatisieren, das unbewusst der Risiken mit seiner Magie spielte und dabei das Leben der eigenen Mutter opferte.
Erneut lachte der Wal, was Shadrach als Anlass nahm, einen Satz zur Seite zu machen und dabei die entfesselte Magie auf seinen Gegner loszulassen. Annie musste durch die plötzliche Helligkeit die Augen zusammen kneifen.
Und es geschah... nichts. Einfach nichts, was sie nicht erwartet hatte und das es Shadrach ebenso erging, sah sie seinem Gesichtsausdruck an.
Der Wal lachte weiter, als der Magier seine Blitze verlöschen ließ und irritiert seine Hände anstarrte. Zwei dünne Schnitte hatte er selbst abbekommen, beide am rechten Unterarm, und selbst das war noch mehr als der Schaden an dem Monster, der gleich Null betraf.
„Es ist... resistent?“, fragte Shadrach sich selbst, leise und sicherlich auch nicht an die andere Gestalt, einfach hineingeworfen in den Raum. „Verdammt!“
„Komm hoch!“, rief Annie mit unkontrolliert in die Höhe geschossener Stimme, hielt ihm eine Hand hin, damit er weiter in die Krone kommen konnte, doch er reagierte darauf nicht, versuchte sich nur an anderer Magie.
Der Schutzzauber konnte im Grunde genommen von jedem angewandt werden, der ein bisschen Magie im Blut hatte, doch er war Wirkungsvoll, der er jegliche physischen Angriffe abwehren konnte. Shadrach beschwor ihn herauf, in dem er, während er erneut ausweichend zur Seite sprang, mit seinem Blut eine Einundsiebzig in die Luft malte. Die Zahl leuchtete rot, löste sich dann auf und theoretisch hätte der Wal dadurch weggeschoben werden müssen, doch erneut passierte nichts.
Shadrach fluchte leise auf, holte den Dolch wieder hervor und zog sich auf jene Mangrove des Grüppchens, an welcher er sich gerade festhielt.
Der Wal hingegen schob sich unerwarteterweise zurück, ließ sich mit einem lauten Klatschen ins Wasser fallen, wo er abtauchte.
Stille.
„Ist er weg?“, flüsterte Annie und sah zu Shadrach, der nun einige Meter von ihm entfernt war.
Zum Antworten kam er nicht, da der Wal in jenem Moment wieder aus dem Wasser sprang und schnappte in jenes Blätterdach, in welchem Shadrach aufhielt.
Dieser reagierte gerade noch rechtzeitig, sprang herab und versuchte, sich an einer Luftwurzel festzuhalten, um nicht ins Wasser zu fallen. Doch es war die falsche Wurzel. Es war eines jener Exemplare, die über und über mit Algen bewachsen waren und somit glitschiger als so manches Schulessen. Shadrach war weitaus leiser als das Vieh, als er im Wasser landete.
„Shadrach!“, kreischte Annie hysterisch, stürzte auf einen anderen Ast, der allerdings weniger kräftig war als ihre vorherige Sitzgelegenheit und demnach unter ihrem Gewicht zusammen brach.
Mit einem Schrei stürzte auch sie nach unten, landete auf mehreren Wurzeln, eine von ihnen drückte genau in ihren Bauch. Am Rande ihres Blickfeldes entdeckte sie Shadrach wieder, der völlig durchnässt aus dem Wasser auftauchte und nach einer Wurzel griff, um sich daran hochzuziehen. Er erwischte sie sogar mit beiden Händen, stemmte sich nach oben, sodass er im nächsten Moment wieder im einigermaßen Trockenen gewesen wäre.
Dann war er wieder verschwunden. Unter Wasser gezogen, einfach so.
„Shadrach“, wimmerte das Mädchen, das hilflos im Gestrüpp hing, versuchte, sich zu befreien, fand aber nicht die Kraft dazu. Der Schmerz und die Verzweiflung trieben ihr bereits zum zweiten Mal innerhalb weniger Stunden Tränen in die Augen. Da war einmal die Wurzel, die sich genau in die Verletzung am Bauch grub, und dann das Holz, das über die erneut aufgerissene Wunde rieb, die ihren Fingernagel ersetzt hatte, während sie versuchte, frei zu kommen.
Doch es war umsonst, alles umsonst.
Sie hörte spritzendes Wasser, sie hörte die Atemzüge das Wales, sie hörte die gelegentlichen tiefen Atemzüge von Shadrach, die sich langsam, aber stetig, immer weiter entfernten. Alles entfernte sich, alles wurde es leider.
Annie spürte, wie ihr aus leicht geöffneten und schmerzenden Augen Tränen über die Wangen liefen.
„Komm schon“, hauchte sie in die Dunkelheit, zum schwarzen Wasser unter sich. Aber niemand reagierte darauf.
Diesmal verlor sie nicht einfach das Bewusstsein. Diesmal weinte sie sich leise in den Schlaf.



Fliesen mit Wasser, Kälte, Schritte. Das gleiche, immerzu das gleiche. Immer wieder, Nacht für Nacht, Schlaf für Schlaf. Das Blut war blau, diesmal, blau, so wie immer. Spritz, spritz.



Annie erwachte, als sie im Traum auf den Boden fiel. Es war kein schreckhaftes Aufwachen wie nach einem Alptraum, es war langsam, einfach so. Als wäre das, was sie sah, etwas schön-abgefahrenes.
Mittlerweile war die Sonne aufgegangen.
Schläfrig drehte Annie sich auf die andere Seite, um weiter zu schlafen, bis ihr haargenau zwei Dinge auffielen. Zuerst waren das die Geschehnisse der Nacht, dann der Fakt, dass sie wieder auf der Mangrove lag anstatt unten in ihren Wurzeln zu hängen. Und mit einem Schlag war sie hellwach, fuhr auf, keuchte einmal vor Schmerz und ließ sich dann wieder fallen.
Panisch schaute sie sich um, nach rechts, nach links, nach rechts. Die Uniform lag wieder über ihr. Alles schien unverändert. Nur Shadrach fehlte.
Erneut versuchte sie, sich aufzusetzen, nur dass sie es diesmal langsamer anging. Ein paar Mal atmete sie schwer durch, rückte mit dem Hintern weiter nach hinten, um sich an einen Stamm lehnen zu können. Es war immer noch unbequem und alles machte fürchterlich Aua, doch sie selbst fühlte sich ein Stückchen produktiver.
„Was geht hier vor?“, fragte sie sich leise, schaute sich um. Das Wasser war fast fort, es war flach und teilweise waren Sandbänke freigelegt worden. Es sah so anders aus, bei Tag. Fast schon idyllisch. Wie gestern, als sie hier aufgewacht war.
Nur, dass sie jetzt alleine war. Wo war Shadrach? Wo steckte der Kerl? Das Vieh konnte ihn nicht umgebracht haben, es konnte das einfach nicht! So etwas reichte für ihn nicht, er hatte Gründe, warum er stetig und immer wieder aufstand und deshalb würde er in dieser Welt nicht sterben.
„Verdammt“, schluchzte sie, fühlte sich hilflos und ausgesetzt. Was für eine Chance hatte sie? Der nächsten Monsterschnecke würde sie nicht entkommen. Dem nächsten prähistorischen Wal mit Armen ebenfalls nicht. Wer wusste, was dieser Ort, dieser verfluchte Ort, noch so für unschöne Überraschungen bereit hielt. Jetzt war nicht einmal der Dolch da, mit dem sie sich hätte verteidigen oder notfalls auch suizidieren können.
„Olala, ich sehe, du bist wach“, flötete eine Stimme zu ihrer linken, sie bekam fast einen Herzinfarkt und fuhr herum, was selbstverständlich wieder einmal unheimlich weh tat.
Den nächsten Herzinfarkt bekam sie dann, als sie sah, wer es war. Nicht Shadrach, nein, der auf keinen Fall. Auch eine ihrer Kreationen, doch eine, bei der sie nicht wusste, ob sie sich freuen sollte.
Der junge Mann links neben ihr lachte, legte einen Stofffetzen, in den er etwas eingepackt hatte, beiseite. „Geschockt, hm? Na ja, wäre ich vermutlich auch, wenn du auf einmal neben mir gestanden hättest. Aber ist nicht schlimm und um Fatums Willen, leg dich wieder hin, das tut doch weh!“
Er schaute sie sehr empört an, während ihr Blick eher einer Mischung aus verzweifelt und fragend glich.
„Hat es... dir die Sprache verschlagen?“ Er legte den Kopf leicht schief und strich sich ein paar Strähnen seiner schwarzen Haare aus dem Gesicht, welche ihm völlig ungeordnet über ebenjenes hingen. „Ah, na klar, klar. Ich war hier so unterwegs, als noch richtige Ebbe war und zuerst habe ich das da gesehen“, er deutete auf die Uniformsjacke, mit der sie sich zudeckte, „und habe mich tierisch gefreut, weil die jemandem gehört, den ich ganz sehr lieb habe und dann habe ich dich gesehen, wie du da unten so rum... gebaumelt hast“, wie es schien hatte er Probleme mit der Wortwahl, „und hab dich hier hoch gelegt und... Egal. Ich bin Kyo.“
Breit grinsend hielt er hier eine Hand hin. Zögerlich nahm sie sie entgegen und versuchte, ebenfalls zu lächeln, es artete aber in etwas ziemlich Schrägem aus. „Annie“, stellte sie sich vor. „Ich bin Annie.“ 
„Wirklich? Kannte ich auch mal eine, weiß nur nicht mehr so ganz... Aber voll toll, dass du hier bist, also, wahrscheinlich nicht denn du siehst ziemlich fertig und außerdem verletzt aus, aber wenigstens bin ich nicht mehr allein.“ 
„Nein, Kyo“, dachte sie sich. „Das Mädchen hieß Ani. Und du kennst sie aus der Klappse.“ 
„Du weißt nicht zufällig, wo wir sind? Miseria ist es nicht, Veritas nicht, ich bin irritiert, hm, ja, durchaus irritiert.“ 
Annie atmete einmal tief durch, um sich zu beruhigen. Shadrach war auch hier. Es war theoretisch überhaupt rein gar nicht verwerflich, dass sich auch andere ihrer Charaktere hier befanden. Und sie war eben auf Kyo getroffen. War auch nichts weiter dabei, außer des Fall, dass, sollten sie Shadrach finden, Kyo höchstwahrscheinlich versuchen würde, ihn umzubringen. 
„Nein, ich hab auch keine Ahnung, wo wir sind. Bin gestern einfach hier aufgewacht.“ 
„Aufgewacht, du auch?“, freute er sich. Wenn Annie ihn so musterte, sah er noch ein bisschen kranker aus, als sie sich ihn immer vorgestellt hatte. Wirklich nur wie ein Skelett, dem man Hemd, Hose und Schuhe angezogen hatte. Und Verbände um die Arme gewickelt. „Ich auch, einfach so. Total blöd, nicht einmal im Zug einschlafen darf man, ohne dass einem irgendetwas passiert.“ 
„Ich bin im Wald eingeschlafen. Aber nicht im Regenwald.“ 
Die beiden schwiegen sich einen Moment an. Kyo grinste nach wie vor und machte einen durch und durch glücklichen Eindruck. Annie musterte ihn. Genau wie vorher bei Shadrach fand sie, dass er unecht wirkte. Aber trotzdem niedlich, zumindest gerade. So, wie er gerade gelaunt war, wirkte er nicht wie ein psychisch labiler Geist, mehr wie ein aufgeweckter Fünfjähriger. Wenn man einmal von den tiefen Augenringen absah.
Dann, mit einem Schlag, wurde seine Mimik ernst. „Der Typ, dem das gehört“, er nickte zur Uniform, „ist nicht rein zufällig auch hier, hm?“ 
Überdenke, was du sagst, sag nichts Dummes, mach nichts Dummes, hab dich unter Kontrolle, halt den Mund, denk nach! 
„Shadrach? Ja, der ist auch hier.“ 
Naaaaaaaaah, du hässliches, dreckiges, erbärmliches Scheißding, du! 
Kyo kicherte. „Ist ja witzig. Bin ich extra woanders hin, um ihn nicht persönlich umzulegen, dann komm ich hierher und da ist er ganz in der Nähe, hm, es ist witzig, so witzig.“ Dann grinste er wieder freundlich, als wollte er kleinen Kindern Luftballons verkaufen. „Wo steckt er?“ 
Erneut musste sich Annie beruhigen, während ihr Inneres sich beschwerte, sie beschimpfte und gedanklich vermöbelte. „Hör mal, Kyo... Ich glaube, ich kann das nachvollziehen, warum du die Chance jetzt ergreifen willst, aber...“ Würde er sich erkundigen, warum sie irgendetwas über ihn wusste? Nein, wohl eher nicht. Das war Kyo, der machte so etwas nicht. Jedenfalls nicht oft. „Aber wir sind zu dritt hier und vielleicht wäre es besser, wenn wir uns zu dritt durchschlagen. Vielleicht kommen wir hier ja auch nur zusammen raus, dann komme ich wieder zurück nach Hause und ihr zurück nach Miseria und dann kannst du nach belieben jeden töten, den du gerne beseitigen möchtest.“ 
Auch sie versuchte zu lächeln, erneut. Aber sie gab sich selbst bei ihrem Gesagten Recht. Würde sogar dem Plot entsprechen. 
„Das klingt nach einem Plan“, sagte Kyo dann. „Könnte ich überdenken. Wo steckt der kleine Bastard eigentlich?“ 
Er schaute sich um, ganz als hoffte er, ihn irgendwo zu entdecken. 
„Wir wurden angegriffen, in der Nacht.“ 
„Bist du deshalb verletzt?“ Diesmal deutete er auf ihren Bauch. 
„Das war... ein anderer Angriff, kurz davor“, erzählte sie. „Dann kam kurze Zeit später dieses andere... Vieh und seitdem ist er verschwunden, wer weiß, vielleicht ist er ja schon tot.“ 
Es widerte sie selbst an, wie locker sie das gesagt hatte. Vielleicht ging sie ihm auf die Nerven, aber sie wünschte sich seinen Tod trotzdem nicht. Jedenfalls nicht hier, in der Geschichte war das natürlich etwas ganz anderes. Was sie mittlerweile ebenfalls verschreckte. 
„Möhöhöglicherweise“, kicherte Kyo wieder. „Ach ja“, fiel ihm dann etwas ein und er griff zu dem Stoffbündel. „Deshalb hab ich dich vorhin hier liegen lassen, schau mal.“ Er wickelte das Ding auf und hielt es ihr direkt vor die Nase. Es befanden sich Früchte darin. Tropische Früchte in den giftigsten Farben. Sie hatte selten etwas appetitlicheres gesehen. 
„Für... mich?“, fragte sie fassungslos und in jenem Moment hätte Jesus neben ihr stehen und sagen können, er würde sie mit in den Himmel nehmen, sie hätte Kyo trotzdem gedankt, um anschließend erst mit Jesus zu verschwinden. 
„Klar, ich brauch nichts.“ Er erwähnte die Gründe dessen nicht, nämlich, dass er untot war und nichts zu essen brauchte. Wobei Annie sich da gerade nicht wirklich sicher war, es täte ihm sicherlich gut, etwas zu sich zu nehmen. Ihr war aufgefallen, dass auch sein Hemd zerrissen und dreckig in der Bauchregion war, blutbesudelte Verbände schauten an den kaputten Stellen hindurch. Er war hier, bei ihr, nicht in der Geisterwelt, seine Verletzungen würden nicht so schnell wie gewohnt verheilen, also musste er anderweitig Energie zu sich nehmen. Und das ging eben am besten durch Essen. 
Aber wenigstens konnte sie ihn so zeitlich in die Geschichte einordnen, was auch dem zu verdanken war, dass er vorhin den Zug erwähnt hatte. 
„Du solltest auch etwas davon haben“, beschloss sie und versuchte, ernst zu klingen. 
„Hab gestern schon, hab gestern schon“, lehnte er ab und hielt ihr das Zeug noch näher ans Gesicht. „Jetzt nimm, ist auch nicht giftig, jedenfalls haben das auch solche komischen Affen gegessen und ich hab bisher auch noch nichts gespürt.“ 
„Das ist so... lieb“, sagte sie angetan, dann nahm sie sich eine de Früchte und biss hinein. 
Geschmacksexplosion. Sex für ihre Zunge. Und ein Orgasmus für die Nerven darauf. Sie hatte das Gefühl, nie etwas Göttlicheres gegessen zu haben. Es war die beste Mahlzeit ihres Lebens. Bis jetzt.
In jenem Moment spürte sie auch, was für einen Hunger sie eigentlich hatte, vor allem, wenn sie sich daran erinnerte, dass sie das letzte Mal gestern Morgen eine Schüssel Müsli gegessen hatte. 
Trotzdem aß sie gepflegt und achtete darauf, sich nicht zu besabbern. 
Kyo ließ sich in der Zwischenzeit neben ihr nieder, schaute ihr abwechselnd beim Essen zu, dann wieder aufs Wasser, sie, Wasser, sie, Wasser. Anscheinend war er fasziniert davon, wie er einen Menschen mit so etwas Simplen hatte glücklich machen können und davon, wie die sanften Wellen der Flut gegen die Wurzeln der Mangroven schlugen. 
Irgendwann war sie dann tatsächlich mit Essen fertig und, obwohl es nur ein paar Früchte gewesen waren, absolut satt. Sie fühlte sich nicht in der Lage, sich in den nächsten zwei Stunden auch nur irgendwie vom Fleck zu bewegen. Mal davon abgesehen, dass sie voraussichtlich eh nicht dazu in der Lage war, wie ihr ein Ziehen im Bauch zu verkennen gab. 
„Sag, soll ich mir deine Verletzung noch einmal anschauen?“, fragte Kyo, ganz als hätte er ihre Gedanken lesen können. 
„Das wäre grandios“, sagte sie, schaute ihn lächelnd an und diesmal war es keins der misslungenen Sorte. 
„Dann leg dich mal hin, ich pack das.“ 
Sie tat, wie ihr geheißen, auch wenn sie einmal mehr das Gefühl hatte zu sterben, und schob die Uniform beiseite. 
Kyo schaute etwas angewidert die blutgetränkten Verbände um ihren Bauch an. „Äh, Shadrach besudeltes Zeug“, grummelte er, fasste den Verband mit zwei Fingerspitzen an und wickelte ihn ab. 
Anschließend betrachtete er mit einem vielsagenden Blick die Verletzung. „Sag mal, wollte dich einer als Käse über die Pasta reiben oder was?“ Er klang, als würde er das auch noch witzig finden. 
„Ich denke, das Vieh wollte mich eher feingeraspelt verdauen als im Stück“, sagte Annie. Wenn sie sich das Ganze so ansah, tat es gleich noch mehr weh. Es hatte sich großflächiger Grind über die Wunde gezogen, doch trotz allem hatte sie sie sich größer vorgestellt. Wahrscheinlich trog der Schein, da Shadrach sich bereits einmal darum gekümmert hatte. 
„Ist ja lecker“, gab der Geist von sich, griff dann zu einer der beiden Waffen, die ihm am Gürtel baumelten. Einmal war es lediglich der Griff eines Katana, nein, Odachi, das den Namen Hiasu trug und Kyos Ein und Alles war, und ein etwa Unterarm langer Dolch. Er zog letzteren aus der Scheide, betrachtete ihn kurz. 
„Da klebt ja immer noch das Blut von dem hässlichen Drachenjungen dran“, beschwerte er sich, legte dann seine rechte Hand fest an eine der Wurzeln, nahm sie ins Visier, während er mit der linken den Dolch hielt. Es sah aus, als würde er sich für Messerspielchen vorbereiten, dieses schnelle Stechen auf die Finger mit der Absicht, diese zur verfehlen. 
Nur, dass Kyo dieses Spielchen nicht beherrschte und sich den Dolch deshalb in den kleinen Finger rammte. Er grinste dabei und es sah nicht wirklich gesund aus. 
Annie verzog das Gesicht dezent, versuchte, nicht hinzuschauen, aber solche Taten waren wie Autounfälle. Man musste einfach hinsehen. Dennoch fragte sie sich, warum er das nicht anders hätte regeln können. Wenn er an sein Blut kommen musste, hätte er lediglich etwas tiefer in seine recht frische Bauchverletzung greifen müssen. 
Aber das war nun einmal er, Kyo, sie hatte ihn so geschaffen und sollte sich entsprechend auch nicht darüber wundern. Zumal er ein gelindertes Schmerzempfinden hatte. 
„Schalalalala“, sang er vor sich hin, drückte noch ein bisschen an seinem demolierten Finger herum, sodass weiter sein helles, dünnflüssiges Blut heraus tropfte. Ebenjenes schmierte er dann in Form einer Siebzehn auf Annies Bauch. 
„Heile, schnell, schön, sauber und wunderbar, so wunderbar“, sang er weiter in arrhythmischer Melodie vor sich hin. Die Zahl leuchtete auf, Annies Bauch kribbelte und für einen Moment waren alle Schmerzen verschwunden. Sie schielte an sich hinab, versuchte, es genauer zu sehen, bedauerlicherweise war für einen besseren Blick ihre Oberweite im Weg. 
„So, getan“, sagte der Geist dann, als das Glühen verlosch und die Schmerzen zurück kamen. Aber immerhin nicht so stark wie vorher. „Können wir ja im Verlauf des Tages nochmal machen, jetzt bringt das erstmal nichts.“ 
Sie sah, wie sein Blick auf die dreckigen Verbandsreste an ihrem Bauch rutschte. Anschließend zu den Verbänden an seinen Armen. Er biss sich auf die Unterlippe, saß einen Moment einfach nur schweigend da. Anschließend seufzte er und begann, den Verband von seinem rechten Arm zu wickeln. 
Bei ihm zogen sie sich an beiden Armen von den Fingern bis nach oben, wo sie unter dem hochgekrempelten Ärmeln seines grauen Hemds verschwanden. Er wickelte langsam, ganz als hoffte irgendetwas tief in seinem Inneren, dass er sich doch noch umentscheiden und es lassen würde. Tat er aber nicht und so war er nach sicherlich einer Minute Abbinden fertig. 
Annie versuchte, nicht ganz so auffällig auf seinen Arm zu starren und stellte dabei fest, dass sie ihre eigenen Kreationen wohl unterschätzte. 
Zuerst einmal sahen seine Arme so noch dünner aus, kaum mehr als Knochen, über die Haut gespannt worden war. Und dann die Narben, Güte, die Narben! Eigentlich war seine Haut bleich, richtig weiß mit einem ungesunden blaugrau Stich, die Farbe eines Menschen, der an zu hohem Blutverlust gestorben war. Doch hier war sie weißlich violett bis rosa, die tatsächliche Haut war kaum noch zu sehen. Dafür bestand im Grunde genommen sein ganzer Unterarm nur noch aus Narbengewebe. 
„Gott, was hab ich angestellt?“, fragte sich Annie in Gedanken, als sie es schaffte, wegzuschauen. Er saß hier, kümmerte sich mit aller Herzlichkeit um sie und sie hatte ihm so etwas angetan. Und es würde in seiner eigentlichen Geschichte nicht besser werden. Nur noch schlimmer. 
„Es tut mir Leid“, sagte sie dann leise. 
Er hingegen lächelte nur und sah so beinahe niedlich aus. „Es gibt Dinge, die lange vorbei sind. Und jetzt setz dich mal wieder auf, im Liegen kann ich dir das nicht umbinden.“ 
Sie nickte zögerlich, versuchte dann, sich wieder aufzusetzen, wobei er ihr unter die Arme Griff und sanft in Position brachte. 
Daraufhin holte er den Dolch wieder hervor, Schnitt die Verbandsreste durch und begann, ihr den seinen um den Bauch zu wickeln. Annie hielt derweil die Luft an, diesmal nicht wegen der Schmerzen, sondern weil sie sich schlichtweg zu fett fühlte. Vor allem neben einem solchen Hungerhaken wie ihm. 
„Lass das, ich krieg das Ding nicht gescheit umgewickelt.“ 
Verdammt, er merkte es. Aber sie konnte doch nicht einfach ihre Wampe heraus hängen lassen, das war doch... 
Sie tat, wie ihr geheißen. Er lachte nur. 
„Meine Freundin will auch immer nicht hören, wenn ich ihr das sage.“ 
Freundin? Hatte sie etwas verpasst? Offiziell waren sie doch gar nicht mehr... Nein, darüber durfte sie sich jetzt keine Gedanken machen. 
Letztendlich war er fertig, zog ihr demoliertes Oberteil wieder runter. „So, perfekt.“ „Danke“, sagte sie, während sie ihm dabei zuschaute, wie er sich neben ihr niederließ. 
„Ist doch kein Ding“, meinte er, winkte ab. Er saß ziemlich nah an ihr, obwohl eigentlich weitaus mehr Platz auf dem Wurzelgestrüpp war. „Ich kenn dich nicht, du kennst mich nicht und trotzdem sitzen wir hier zusammen in einer fremden Welt und müssen uns irgendwie zurecht finden, das ist echt schräg.“ 
„Vertrau mir, Kyo“, dachte sie sich, ihr Inneres schlug sie wieder, „ich kenne dich besser als du dich selbst.“ 
Wie lange, denkst du, kannst du ihn anlügen? Hm? Du kannst doch sonst nichts, warum solltest du das können? Und du weißt, oh ja, du weißt ganz genau, wie er werden kann, du weißt, was für ein Monster du geschaffen hast. 
Annie ignorierte sich, grinste Kyo nur an, der begonnen hatte, in seiner Hosentasche herum zu kramen; und fühlte sich ziemlich beknackt dabei. „Ja, das ist echt schräg.“ 
Er schien gefunden zu haben, was er suchte, zog es heraus. 
Es war eine Schachtel Zigaretten. 
Annies Augen wurden groß, während sie sie fassungslos anstarrte. Das... Das war jetzt nicht wahr. Nein. Das bildete sie sich tatsächlich nur ein. 
Kyo holte sich locker eine heraus, wühlte dann weiter in seiner Tasche nach einem Feuerzeug, als er ihren Blick bemerkte. 
„Ach. Du auch?“ Er hielt ihr die Schachtel vor die Nase. 
„Ich... Ich darf?“ Sie sah keinen Kyo mehr neben sich sitzen. Es war das göttlichste Wesen, das ihr je begegnet war. 
„Klar, sonst würde ich nicht fragen“, lachte er. 
Mit zittrigen Fingern griff sie nach der Schachtel, zog sich eine Kippe heraus und steckte sie sich in den Mund. 
„Komm mal her“, hörte sie Kyo und sie beugte sich ein Stück zu ihm, damit er anzünden konnte. Als das getan war, wiederholte er die Prozedur bei sich selbst. 
Annie atmete tief durch, ließ den Rauch in ihre Lungen ziehen. Eine Ausgeburt der eigenen Welt, ein himmlisches Erzeugnis. Das war eindeutig das beste, was sie je geschaffen hatte, auch wenn sie das Gefühl bekam, das ihre Lungen das nicht überleben wurden. Irgendwie waren sie stärker als der Tabak, den sie für gewöhnlich rauchte. 
Die perfekten Industriekippen. Ohne dieses trockene Kratzen im Gaumen, das man bei selbstgedrehten nicht hatte. Es war... Nein, diese Gefühl konnte man nicht in Worte sperren. 
„Kyo, ich... ich glaube, ich liebe dich.“ 
Oh... mein... Gott! Das hast du doch jetzt nicht ernsthaft gesagt, das ist doch total bescheuert und dumm und naaaaaah, was kannst du eigentlich?! 
Doch der Geist neben ihr lachte. „Fatum, bist du niedlich.“ 
„Nein, du bist super.“ 
„Nein, das...“ Er schien ernsthaft angetan zu sein, da er seinerseits keine Worte fand. Stattdessen nahm er sie in den Arm und knuddelte sie. Was weh tat, aber das war Annie gerade egal. Es war genau das, was sie jetzt brauchte. Satt, Zigarette im Mund, jemand, der einen in den Arm nahm. 
Absolut fantastisch. 



Ich würde nicht behaupten, dass die anderen Beiträge von mir besser waren. Ich würde sagen, dass der hier der miserabelste ist. 
Ich mochte die Aufgabenstellung, ich habe Gefallen an Walen und Monstern generell, aber ich kann nicht wirklich sagen, warum es mir so schwer gefallen ist. Wahrscheinlich ist es einfach nicht mein Setting, ich mag Regenwälder nicht sonderlich. Generell warme Gegenden, pfui.
[Wahrscheinlich der Grund, warum nur eine einzige der Miseria-Geschichten im Süden spielt :'D] 

Dies ist das zweite Kapitel für :iconfabula-oct: und naja... halt eben so. Und blah. 

Ganz viel merci an ~Aldorich, weil er sich erbarmt hat und noch einmal einen Blick drauf warf. 

Selbiges gilt für den zweiten Teil, da der Text nicht komplett in eins passte: fav.me/d6upu3v

Prolog: fav.me/d6b6ewt
Kapitel 1: fav.me/d6pce8h
© 2013 - 2024 AnnieFliesAway
Comments16
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Jaqie's avatar
Ich hab es jetzt endlich mal geschafft, bis hier zu lesen und finde es soo genial!
Jetzt weiß ich aber auch, warum ich nicht mitgemacht habe :XD:
Armes Shadrach T.T Tot kann er ja aber immerhin nicht sein, der Gute. Hehe, da wird sich der liebe Kyo ja freuen :meow:
Der ist übrigens total knuffig! Ich habe bisher noch nie Geschichten mit ihm gelesen, aber die Persönlichkeit, die hier von ihm zu bewundern ist, hat es mir ganz schwer angetan!! :heart: :huggle: ICH WILL AUCH MITKNUDDELN!!!
Und hey, du kannst stolz auf dich sein, du hast eine Zigarette mit ihm geraucht!! *___*